Mittwoch, 22. Februar 2012
Am Arsch der Welt
Der schlimme Fuß hat ein Machtwort gesprochen. Er möchte weder lange bergauf oder auf unebenen Grund gehen, noch in einen Skischuh gequetscht werden und beim Schlagwort Schneeschuh hört sich alles auf. Zuwiderhandlungen werden mit kleinen Messerstichen in die Ferse bei jedem Schritt und bösem Anschwellen geahndet. Dies schränkt den Aktionsradius bei einem eher sportlich geprägten Urlaub im Bergland etwas ein, ist aber kein Grund, den Kopf in den Schnee zu stecken.

Die Männer ganztags auf die Piste geschickt und sich selbst bei allerbestem Wetter zu einer mehrstündigen Talwanderung ohne nennenswerte Steigung aufgemacht. Bach im Ohr – HIWI 1 sei Dank – den Lieblingsweg in den Ort genommen. Interner Name: Lonely-Ladies-Road. Dieser wunder-wunderschöne Weg am Waldrand und direkt am talwärts fliesenden Gebirgsbach wird überwiegend von einsamen Spaziergängerinnen frequentiert. Wahrscheinlich frönen deren Reisebegleiter – genau wie meine – währenddessen weitaus maskulineren Freizeitbeschäftigungen. Was dem weiblichen Wanderspaß aber keinen Abbruch tut, man grüßt sich mit einem verstehenden Nicken und versinkt wieder ins gedankliche Nichts, das sich durch das gleichmäßige Gehen, die Musik im Ohr und durch das Glitzern rundherum schnell einstellt.

Ein kleiner Ratsch mit der Bäckereifachverkäuferin im Ort, die meint, sie würden hier ja am Arsch der Welt Leben. Was man durchaus so sehen kann, aber nicht sollte. Für mich ist es einer der schönsten Plätze überhaupt. Fast zwanghaft verbringen wir Jahr für Jahr mindestens zwei Wochen hier. Das Gesamtpaket ist so stimmig, die Leute sind unverkrampft, nichts ist pseudoschick oder aufgeblasen. Ich kann mich nicht erinnern, in fast 20 Jahren auch nur einem unfreundlichen Einheimischen begegnet zu sein. Die Menschen sind bodenständig und heimatverbunden und verbiegen sich nicht für den Gast, den sie auch wirklich als solchen behandeln. Sie suchen sofort das Gespräch, erzählen, hören zu und berufen sich immer mal wieder auf den Herrgott, der hier durch kleine private Kapellen, Kruzifixe in Wohn- und Gaststuben und an Wegesrändern allgegenwärtig ist. „Da Herrgott hods so wolln.“ Was mir daheim zu viel wäre, rührt mich hier eher.

Ein kleiner Wehmutstropfen sind die winters in Horden einfallenden Niederländer. Sie sind überwiegend laut, an Liften ungeschickt bis rücksichtslos und die Damen ziehen sich auf der Piste zuweilen an, als wären sie nicht beim Sport sondern beim Anschaffen, und so schminken sie sich auch. Aber da sie nicht wirklich böse sind und man ihnen abseits der Pisten auch prima aus dem Weg gehen kann, stört sich keiner wirklich dran.

Was das Leben hier für mich unmöglich machen würde sind nicht die Holländer – die nebenbei bemerkt auch kräftig auf dem hiesigen Immobilienmarkt mitmischen – sondern die Tatsache, dass das nächste Kino 60 Kilometer entfernt ist, genauso wie das nächste Gymnasium. Von Theatern und Kleinkunstbühnen gar nicht zu reden. Und auch einen entsprechenden Landeierclub, in dem man so richtig schön stilvoll Weiberfasching feiern kann, habe ich hier noch nicht gefunden. Und deshalb muss ich leider am Sonntag wieder heim fahren und erst im Sommer wiederkommen.

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